
Wort zum Tag – 11.11.2023
11. November 2023
Feinde vernichten oder Feinde lieben?
Weder das eine noch das andere klingt sympathisch. Feinde-Vernichten klingt bestialisch und Feinde-Lieben ist zu viel des Guten.
Beide Modelle finden wir in der Bibel vor. Dabei sind aber die Zusammenhänge genau zu beachten.
In der Offenbarung des Johannes im Kapitel 12 vertreibt der Erzengel Michael mit den Seinen den bösen Drachen aus dem Himmel. Der Himmel ist vom Bösen befreit, aber auf der Erde treibt das Böse weiterhin sein Unwesen.
Es ist eine Perspektive für das Reich Gottes. Die Logik wird jedoch auch auf die Erde übertragen. Alle derartigen Versuche, das Böse zu vernichten, blieben eine Illusion, weil durch den Vernichtungskampf viel neues Böses entstand.
Über dasjenige, das böse ist oder nicht, gibt es keine einhellige Meinung in der Menschheit. Diejenigen, die mit ihren Gegnern keinen Frieden stiften können oder wollen, stigmatisieren ihre Gegner mit einer Lebensbedrohung für alle. In der Zeit nach Jesus wurde Judas zum Verräter erklärt. In der Reformationszeit galt Thomas Müntzer als der gefährliche Revolutionär und heute sind es die Terroristen, die zur Bedrohung für die Gesellschaft erklärt werden. Da ist auch immer ein Stück Wahrheit dabei, aber niemand bedenkt, dass kein Mensch als ein stigmatisierter Judas, Thomas Müntzer oder Terrorist geboren wurde.
Ein ganz anderes Konzept verfolgt Jesus in seiner Bergpredigt (Matthäus 5, 44): „Liebet eure Feinde“. Dazu werden noch solche Beispiele angeführt, dass man seine andere Wange hinhalten soll, wenn man auf die eine Wange geschlagen worden ist. Das klingt nicht besonders vernünftig. Vor einem Sadisten ist von dieser Handlungsweise auf jedem Fall abzuraten.
Jesus geht es hier nicht um eine wortwörtliche Anweisung, wie man ein Kochbuch versteht. Ihm geht es um eine paradoxe Intervention. Wenn die bisherigen Wege zum Frieden nicht fruchteten, dann braucht es originelle Lösungen, dann sind Menschen herausgefordert, das Gewöhnliche zu verlassen und das Außergewöhnliche zu wagen, um Frieden zu stiften.
Mitunter ist Gewalt gegen böses Handeln nötig. Ein wahrhaftiger Friede wird jedoch nur wachsen, wenn Menschen sich mit Liebe und Barmherzigkeit auf Augenhöhe begegnen.
Dr. Reinhard Junghans – Pfarrer in Borna
