Reformation und Sinnfrage

Was im Anfang des 16. Jahrhunderts in der reformatorischen Bewegung innovativ, revolutionär und zukunftsweisend war, ist heute in unserem Land weniger bekannt. Diese in die Neuzeit führenden Ideen gingen von einem veränderten Bibelverständnis aus. Im Rahmen der damaligen humanistischen Bewegung griff man auf die originalen Quellen zurück und damit in einer Strömung auch auf die Bibel. Dort entdeckte zuerst Martin Luther (1483-1546) den barmherzigen Gott neu. Ein Mensch kann trotz seiner Schuld aus seinem Fehlverhalten wieder einen guten Neuanfang wagen. Dazu muss er vor allem der Vergebung und dem Segen Gottes vertrauen, der auch aus schwierigen Lebenslagen Gutes entwickeln lässt.

Damit Menschen Gottvertrauen wahrnehmen können, forderten die Reformatoren, dass Jungen und insbesondere auch Mädchen eine gute Schulbildung erhalten. Der Kleine Katechismus von Martin Luther wird über Jahrhunderte die religiöse Bildung in den evangelischen Schulen prägen. Dem Bibellesen und dem Kennen biblischer Geschichten wurde eine besondere Bedeutung zuerkannt, um den Sinn des Lebens zu finden.

Als Ausdruck der Nächstenliebe und Solidarität sollten in den Gemeinden soziale Kassen eingerichtet werden. Berühmt wurde dabei die Leisniger Kastenordnung. Damit sollte die Barmherzigkeit Gottes konkret erfahrbar werden.

Für die Reformatoren war jede Arbeit, die dem Nächsten dient, eine wichtige religiöse Aufgabe im Gemeinwesen. Diese religiöse Aufwertung der verschiedensten Berufe förderte die technische Entwicklung zuerst in den protestantischen Ländern.

Die Fähigkeit der Reformatoren Widersprüche als Einheit zu verstehen, bereitete modernes naturwissenschaftliches Denken vor. Wahrheit wurde weniger in festgelegten Sätzen formuliert, sondern in Spannungen beschrieben. Dazu gehören Glaube und Werke, Staat und Kirche, Sünder und Gerechter und dergleichen.

Heute können wir viele positiven Entwicklungen genießen. Die Sinnfrage ergibt sich nicht aus dem Wohlstand, sondern aus den Wertmaßstäben der Bibel von Glaube, Liebe und Hoffnung.

Dr. Reinhard Junghans – Pfarrer in Borna