Wort zum Tag – 6.12.2024
6. Dezember 2024
Sankt Nikolaus gibt es nicht!
Im Kindergarten sagte ein sechsjähriges Mädchen zu mir: „Ich weiß, dass es keinen Nikolaus gibt. Meine Mama macht nachts meine Stiefel voll, wenn ich schlafe.“ Ich bin bestürzt wie nüchtern sie spricht und vermute sofort, dass sie mit diesem Wissen keine Freude mehr am Nikolausmorgen hat. „Und“, frage ich vorsichtig, „freust du dich trotzdem über die Sachen in deinen Stiefeln?“ „Natürlich“, sagte sie überrascht. „Meine Mama macht es doch für Sankt Nikolaus. Sie ist wie die beiden Hände von ihm. Da wird sie selber wie ein Nikolaus,“ sagt sie, lacht und rennt los.
Stimmt. Bei mir lag der Kurzschluss. Sie wollte nicht sagen, dass es Nikolaus nie gegeben hat, sondern dass es ihn jetzt nicht mehr gibt, und wir, die Erwachsenen, alle ein bisschen zu Nikoläusen werden bzw. zu seinen Handlangern, wenn wir unseren Kindern die Schuhe füllen. In dem wir ungesehen schenken, verwandeln wir uns für einen heiligen Augenblick in den Nikolaus aus dem 4. Jahrhundert. Und ich muss nicht behaupten, dass jemand plötzlich vorbeikommt, der vor langer Zeit gelebt hat.
Das ist vermutlich damals aber tatsächlich passiert. Es wird erzählt, dass Nikolaus nicht zusehen konnte, wie es einem alkoholkranken, verwitweten Fischer aus seiner Stadt Myra schlecht geht. Der hatte nämlich in einem verzweifelten Moment seine drei Töchter als Pfand für seine Schulden eingesetzt. Und so wirft Nikolaus der Familie nachts drei kleine Beutel mit Goldstücken durchs Fenster ihrer Hütte, damit der Vater seine Kinder auslösen kann. Leider machten die Münzen beim Fallen auf die groben Holzdielen ziemlich laute Geräusche. Die Mädchen erwachen und erkennen ihn. Ihre Dankbarkeit ist ihm fast zu viel. Er ist nur froh, dass die Familie zusammenbleiben kann.
Auch hier ist klar: die Rettung kommt nicht von allein, nicht von Geisterhand, sondern von einem lebendigen, mitfühlenden Menschen, der vom Schicksal anderer nicht unberührt bleibt. Wieviel ehrlicher ist es also, zu sagen, dass wir uns am 6. Dezember an diesen Nikolaus erinnern und versuchen, ihm ein bisschen zu ähneln, sodass er vielleicht immer mal wieder unsere Herzen und Hände beflügelt.
Pfarrerin Friederike Kaltofen, Pfarrerin in Groitzsch