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Wort zum Tag – 02.10.2025


2. Oktober 2025

Das Geschenk der Stille

Hören Sie noch? Hören Sie noch zu? Hören ist der Sinn, der uns verbindet. Es öffnet eine Dimension der Tiefe und der Gemeinschaft. Nicht zuzuhören warf bereits Tucholsky den Menschen vor.

Wirkliche Zuhörer sind selten. Das Zuhören fordert vom Hörenden, dass er in diesem Augenblick auf alles verzichtet, was sein Eigenes sein könnte. Alles ist auf den Klang gerichtet, der mich erreicht und verbindet. Wir hören nicht nur mit den Ohren, auch wenn sie das wichtigste Organ dafür sind. Was für ein Geschenk, dass wir als Menschen mit einer solchen Fähigkeit ausgestattet sind, die den ganzen Körper betrifft.

In guten Konzerten wird mir das neu bewusst. Und es wird mir dann auch bewusst, wie bedroht das Hören ist. Wirkliches Hören braucht einen Raum – in mir und um mich. Es braucht Zeit, damit sich das Gehörte in mir entfalten kann.

Hören ist verbunden mit Staunen und Dankbarkeit. Wenn der Wind rauscht, Vögel singen, Regen auf das Dach aufschlägt, dann spürt der ganze Körper, in welch einer wunderbaren Welt er zu Hause ist. Hören gehört zur Stille, die nie absolut ist. Sie entsteht dann, wenn ich mich aussetze und das aufnehme, was in diesem Moment da ist. Eigene Leistung spielt keine Rolle mehr. Ja, sie kann den Moment sogar bedrohen. Das Klatschen im Konzert kann diesen Moment aus Gemeinschaft, Staunen, Dankbarkeit und Demut zunichtemachen. Giora Feidman verlässt darum in der Stille, verbunden nur mit dem Klang seiner Klarinette den Raum. Er lässt den Hörern das Wunder, das sie erfahren.

Der Herbst ist unter den Jahreszeiten ein Großmeister der Stille. An manchen Tagen schweben die Blätter so sanft vom Baum, als würden zärtliche Hände sie dem Boden entgegen heben. Das Innehalten bei den Erntefesten und Gottesdiensten: Was für ein Jahr! Auch in diesem Jahr gibt es Äpfel, Wein, Kartoffeln, allen Unkenrufen zum Trotz. Ein einzelner Apfel ist ein Wunder. Und dann diese Fülle. Im Staunen erfährt das Geschenk.

In der Stille dieser Dankbarkeit erlebt man auch, dass wir von all dem abhängig sind. Wir können uns das selbst nicht schaffen. Jeder Einzelne kann viel dazu beitragen, aber dass es wächst und gedeiht, bleibt ein Wunder. Wir sagen: Gott schenkt die Ernte. Die Lärmer und selbstsüchtig von Macht Besessenen zerstören das, was allen zusteht.

Der Herbst lädt uns ein: Betrachte ein Apfel, staune. Lausche auf die große Stille, die alles umgibt, und danke.

Pfarrerin Bettine Reichelt aus dem Kirchspiel Muldental