Austausch zwischen Kommunen und Kirche
12. April 2024
„Sachsens aufgewühlte Gesellschaft – Kirchen & Kommunen gemeinsam auf der Suche nach verlorengegangenem Vertrauen“ – unter diesem Titel lud Superintendent Dr. Jochen Kinder am Vormittag des 6. März zu Begegnung und Austausch von Bürgermeisterinnen und (Ober-)Bürgermeistern des Landkreises Leipzig mit einigen Pfarrerinnen und Pfarrern des Kirchenbezirks Leipziger Land. Auch Landrat Henry Graichen sowie Vertreter des Diakonischen Werkes waren zu Gast.
Oberkirchenrat Christoph Seele, Beauftragter der Evangelischen Landeskirchen beim Freistaat Sachsen zeigte sich dankbar, dass sich Kirche & Kommune diesem Thema gewidmet haben. Es ginge auch darum zu vermitteln, wo die Sicht der Kirche in politische Entscheidungen eingebracht werden kann. In seinem Impuls stellte er die Kernkompetenzen und Alleinstellungsmerkmale der Kirche heraus, die Botschaft, die Christen aus Perspektive des Evangeliums beitragen können, die Kompetenzen der Moderation von Gesprächen durch das Pfarrpersonal sowie den Räumen, die die Kirche bietet. Räume, die Perspektiven bieten, die Menschen berühren.
Dr. Roland Löffler, Direktor der Sächsischen Landeszentrale für Politische Bildung stellte zu Beginn die Ergebnisse des Sachsenmonitors vor. Dabei handelt es sich um repräsentative Umfrageergebnisse, was Menschen über sich selbst und ihr Land denken. Diese Ergebnisse sorgten für einigen Diskussionsbedarf innerhalb der Runde.
Die Stimmung der Menschen in Sachsen war laut Sachsenmonitor während der Pandemiezeit besser als jetzt. Meist zeigt sich die persönliche Sichtweise auf Situationen besser als die Sichtweise der Gesellschaft. Die Sorge um eine wachsende Spaltung zwischen Arm und Reich wächst, was sich auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt auswirkt. Ein Gefühl, ungerecht behandelt und abgehängt zu sein zeigt sich in den Daten. Dabei steht der Landkreis Leipzig im Vergleich zu Sachsen etwas besser da.
Insgesamt haben 90% der Befragten das Vertrauen in Parteien verloren. Eine massive Vertrauenskrise zeigt sich auch gegenüber Institutionen. Selbst das Vertrauen in Mitmenschen sinke. Nur ein Drittel meint, dass man den meisten Mitmenschen Vertrauen kann.
In der Diskussion ging es um die Frage nach identitätsstiftenden Aktionen. Hierbei wurde deutlich, dass Diskussionen in Kirchenräumen anders seien, als an anderen Orten. Erfahrungen im Landkreis und Kirchenbezirk zeigten, dass erhitzte Diskussionen andernorts kein Vergleich zu Diskussionsrunden innerhalb der Kirchen waren – zum einen aufgrund des ehrfürchtigen Gebäudes, zum anderen durch Gesprächslenkung durch Pfarrerinnen und Pfarrer.
Das Thema der Diskussionskultur sei nicht neu, Zusammenhalt zwischen Kirche und Kommune wurde schon mancherorts bewiesen. Hier gilt es anzuknüpfen, Gelegenheiten zu finden und zu nutzen, um zusammenzuarbeiten. Die „nervöse Mitte“ der Gesellschaft wolle eine Perspektive. Aktuell gehe die Entwicklung von Krise zu Krise ohne Planbarkeit. Sichere Bindungen werden benötigt, gesteigerte Resilienz. Eigene Problemlösekraft müsse gestärkt werden, wobei voneinander gelernt werden kann. So der Konsens hier innerhalb der Runde.
Vertrauen entstehe durch gemeinsame sinnstiftende Angebote. Hier sei die Chance von Kommunen und Kirche in der gemeinschaftlichen Aktion.
Oberkirchenrat Seele formulierte die Erwartungen der Menschen, die unglaublich komplex geprägt seien. Vertrauen und auch Zutrauen in andere misst sich nach eigenen Ansprüchen und Erwartungen. Staat und Kirche sitzen in einem gemeinsamen Boot. Die Gesellschaft befinde sich in einem Umbauprozess, was Kirche genauso wie Kommunen betrifft. Weitere Gemeinsamkeiten zeigten sich. Abstände seien größer geworden. Sowohl im Kommunalbereich mit immer weiteren Ortsteilen als auch in der Arbeit der Kirche, in der das Pfarrpersonal immer größer werdende Gebiete zu betreuen hat.
Aus der Pfarrerschaft wurde angebracht, dass eine verstärkte Kommunikation zu den Kommunen gewünscht wird, um gegenseitige Erwartungen auch anzusprechen. Dies wurde auch von kommunaler Seite geteilt.
Im weiteren Impuls von Dr. Löffler zeigte sich der Trend zur „Identitätspolitik“. Es ginge in der Gesellschaft um die Suche nach Anerkennung mit einer gleichzeitigen Erwartungssteigerung an Politik und Gesellschaft. Die Distanz wachse und die Kompromissbereitschaft nehme dabei ab. Moralische Themen seien jedoch schwieriger zu lösen als Sachthemen. In der Kommunikation sollte es zurück zur Sachpolitik und vermehrten Kompromisssuche gehen.
Die Themen in Zeiten des schnellen Wandels haben sich verschoben und immer schneller rücken neue Themen in den Vordergrund, was die Suche nach Kompromissen erschwert, so Superintendent Kinder. Kirche transportiert und lebt eine Botschaft, die Menschen in schwierigen Situationen stärkt. Sie vermittle das Gefühl, du bist angenommen, du bist gesehen, in dir liegt etwas, was es zu zeigen und gewinnbringend in die Gesellschaft einzubringen gilt. Das werde jeden Sonntag in den Kirchen gelebt. Und da sehe Superintendent Kinder die Kirche auch als Partner für Kommunen im Aufbau von Vertrauen. Innerhalb des Vormittages wurde dabei auch der Vertrauensverlust der Kirchen angesprochen. Viele Menschen und Milieus werden gar nicht mehr erreicht. Die Kirche entwickelte sich zu einer Nische. Das Frontalformat führe zu Sprachbarrieren und Schwellenängsten. Auch Kirchen haben sich zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Hier müsse ein Aufbruch her.
Von Seiten der Kommunalpolitik werde die Rolle der Kirche für den persönlichen Rat und als Initiator von Kommunikationsprozessen gesehen. Menschen mauern sich ein in ihren moralischen Inseln, hier kann Kirche Verbindung schaffen. Die gegenseitige Offenheit für gemeinsame Veranstaltungen wurde an diesem Vormittag gestärkt. Außerdem der Wunsch nach weiteren Formaten dieser Art. Gesprächsrunden seien oft themenspezifisch, sollten aber vermehrt im Austausch verschiedener Ebenen untereinander auch in Bezug der Landesebene stattfinden.
Die Kernfrage bleibe nun, wie man einander begegnen wolle, um sich gegenseitig zu bereichern. Hier stehen Kirchen, Kommunen und Gesellschaft vor erheblichen Herausforderungen. Themen müssen endpolitisiert werden. Das müsse transportiert und sichtbar gemacht werden. Themen müsse die Sachlichkeit zurückgegeben werden. Das Handeln innerhalb der Gesellschaft und der politischen Themen solle und könne sich, wie Superintendent Dr. Jochen Kinder die Veranstaltung schloss, an den Worten von Gott zu Abraham orientieren: Ich will dich segnen und du sollst ein Segen sein. Er nutzte sein Schlusswort, um allen herzlich zu danken, die im Landkreis und den Kommunen Verantwortung übernehmen und so der Politik ein Gesicht und eine Stimme vor Ort geben.
In den kommenden Monaten werden vielerorts im Kirchenbezirk Aktionen und Veranstaltungen in Bezug auf die anstehenden Wahlen und den gesellschaftlichen Diskurs stattfinden.
Auch die Sächsische Landeskirche startete vor Kurzem eine Wahl-Initiative, in dem die Kirche eine ein Zeichen für Menschenwürde, Nächstenliebe & Zusammenhalt setzen möchte. Weitere Informationen unter: EVLKS – interessiert: Für alle. Mit Herz und Verstand