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Wort zum Tag – 16.03.2024


16. März 2024

Schaffe Recht!

Der kommende Sonntag hat den Namen Judika. Für mich ist dieser Tag in doppelter Weise von großer Bedeutung. Als Mitte der 90er Jahre das soziale Klima immer rauer wurde, erwarteten wir unser 4. Kind. Es war eine Tochter und wir gaben ihr den Namen Judica, das bedeutet: „Schaffe Recht!“. Der zweite Grund ist der, dass ich vor 23 Jahren an einem Sonntag Judika ordiniert – als Pfarrer eingesetzt wurde.

„Schaffe Recht!“ „Setze Gerechtigkeit durch!“ Der Satz kann als Auftrag an Menschen verstanden werden, aber auch als Hilferuf an Gott. Beides hat seine Berechtigung.

Wer am Sonntag Judika in die Kirche geht, bekommt Texte mit teils grausamer Härte zu hören. Wir machen uns bewusst: welche Spannung zwischen dem nicht aufzugebenden Anspruch auf richtiges Handeln mit aller Verantwortlichkeit und der Tatsache der Liebe Gottes und seiner Gnade besteht. Offensichtlich ist hier anders von Gerechtigkeit die Rede, als dass aus einem scheinbar unbegrenzten Vorrat immer mehr verteilt werden müsse, bis die Bedürfnisse eines Jeden befriedigt sind.

An diesem Sonntag wird eine der schaurigsten Geschichten der Bibel ausgelegt werden. Abraham der Vater des Glaubens, Vorbild für Juden, Christen und Muslime wird von Gott auf die Probe gestellt: „Opfere Deinen Sohn, den du lieb hast, auf den du so lange gewartet hast, der Deine Zukunft ist!“ Abraham geht ohne nachzufragen, bindet seinen Sohn und will ihn töten. Im letzten Augenblick fällt ihm der Engel des HERRN in den Arm und an Stelle des Sohnes wird ein Schafbock geopfert. Hat Abraham die Probe bestanden? Viele sagen „Ja“. Ja, er war bereit sein Liebstes herzugeben – vielleicht glaubte er auch Gott, dass er den getöteten Sohn auferwecken könne. Mit dieser Deutung bin ich aufgewachsen. Später, ich war schon Vater von fünf Kindern, hörte ich etwas anderes: Nein, Abraham hat die Prüfung nicht bestanden, denn wer seine Bibel genau liest wird feststellen, dass Gott nach dieser „Glaubenstat“ mit Abraham nie wieder spricht. Abraham stammte aus einer Kultur, in der Kinderopfer nicht fremd waren. Genau genommen, wäre er mit der Opferung seines Sohnes nicht der einzigartige Glaubensheld gewesen, sondern einer von vielen. Was hat Gott von Abraham erwartet als er ihn auf die Probe stellte. Ein simples „Ja“, Kadavergehorsam oder ein echtes Ringen um den Sohn. Dass Abraham mit Gott verhandeln konnte, hat er mit seiner Fürsprache für Sodom unter Beweis gestellt. Hätte Abraham Gott seine eigenen Worte vorhalten sollen? Hätte er sich selbst als Opfer für seinen Sohn anbieten sollen, wie es vielleicht von einer Mutter zu erwarten gewesen wäre? Ich weiß es nicht. aber mich bewegen noch andere Gedanken.

Wie oft opfern wir unsere Kinder – freilich ohne sie körperlich zu töten? Wer hat die Stimme gegen die massenweise Opferung der jungen Männer erhoben, die die Wehrpflicht mit sich brachte? Sie dauerte historisch nur eine kurze Zeit von den napoleonischen Befreiungskriegen bis 2011. Wir haben sie hingenommen wie ein Naturgesetz. Was lassen wir unsere Kinder im Fernsehen und auf Internetplattformen sehen? Es sind kommerzielle Unternehmen, die ihre Interessen mit unseren Kindern verfolgen und uns ist das egal! Welche wilden Experimente veranstalten wir mit unseren Familien, welche kruden Vorbilder und Theorien prasseln auf die heranwachsende Generationen ein und verunmöglichen oft eine ganz normale Entwicklung in Kindheit, Pubertät und Erwachsensein. Manche Schulen werben vom ersten Grundschultag dafür, die Kinder für einen internationalen Arbeitsmarkt konkurrenzfähig zu machen.

Manchmal sagen mir Eltern, deren Kinder jetzt ihre eigenen Wege gehen: „Wir sind auf Arbeit gerannt, haben alles getan, um den Kindern was bieten zu können: Ein Haus, Spielzeug, tolle Urlaubsreisen, waren in Hotels überall auf der Welt in der Türkei, Griechenland, Ägypten, der Elfenbeinküste, auf Mallorca . . . Heute können sie sich an nichts mehr erinnern als an Hotels. Hätte ich mal im Wald mit ihnen eine Bude gebaut! Und manche sagen auch: Hätte ich sie mit der Liebe Gottes in Verbindung gebracht!

Zu biblischen Zeiten wurden Kinder dem Moloch geopfert. Dieses Wort ist in unserer Sprache als ein fressendes nicht satt werdendes Ungeheuer eingegangen. Dem hat die biblische Botschaft etwas entgegen gesetzt. Es ist gerade zu ihrem Markenzeichen geworden, dass weder Kinder noch Alte noch Schwache geopfert werden dürfen. Wenn Opfer gebracht werden müssen, dann sollten wir uns selbst in die Waagschale werfen – so hat es Jesus getan.

Pfarrer Markus Helbig aus dem Kirchspiel Geithainer Land