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Wort zum Tag – 19.07.2024


19. Juli 2024

Wenn es sich lohnen würde

„Da kann man doch nur noch beten.“ Dieser Satz fiel wohl am häufigsten in den Gesprächen der letzten Zeit. Neben viel Ärger und Verstimmung, Frust und Trauer. Hoffnung und Freude wurden zu Mangelware. Manche sagen vielleicht: Der „Jammer-Ossi“ ist zurück. Allerdings sind die Gespräche mit Menschen aus den neuen Bundesländern nicht kaum anders als mit denen aus den alten. Die Verstimmung ist gesamtdeutsch.

Wenn also das Beten sich lohnen würde, wenn et Bede sich lohne däd, was könnte dann geschehen? Was heißt überhaupt „Es lohnt sich“? Was meine ich damit? Lohnt es sich, wenn meine Wünsche erfüllt werden? Wenn es also mehr Geld gäbe für meine Arbeit? Wenn die Krankenkassen mehr bezahlen würden? Wenn sich die Nachbarn auch so verhielten, wie ich es mir vorstelle? Wäre das ein lohnenswertes Ziel? Ein Gott, der endlich, endlich Wünsche erfüllt? Meine natürlich in erster Linie, aber vielleicht auch mal die der anderen?

Oder wäre das Manipulation? Ich bringe Gott dazu, das zu tun, was ich mir wünsche. Gott funktioniert endlich. Nur: Wäre Gott dann noch Gott?

Wenn das Beten sich lohnen würde, stellt sich die Frage nach dem, was ich unter Gott verstehe. Eine heikle Frage. Eine existentielle Frage: Wenn Gott wirklich Gott ist, dann ist er nicht das, was ich manipulieren kann. Dann muss er, sie, es anders, größer sein. Eine Kraft, die alles durchdringt – und doch in irgendeiner Weise mit mir in Beziehung steht. Der Jenaer Soziologe Hartmut Rosa nennt das Resonanz. Ich gehe in Verbindung mit allem, was in mir ist und was jenseits meiner eigenen Grenzen existiert. Ich bin Teil einer Welt, die nicht nur nach meinen Wünschen und Ideen funktioniert, in der ich aber doch leben kann. Ich spüre ein Doppeltes: Wie unermesslich wunderbar das ist, Ich zu sein in diesem. Und wie klein ich selbst bin. Ich gehe in Verbindung mit all diesem – und beginne zu staunen. Der erste Tropfen aus dem Becher der Naturwissenschaft macht zum Atheisten; auf dem Grund des Bechers findest du Gott, sagte Albert Einstein dazu.

Wenn es so ist, dann verändert das Gebet nicht unmittelbar die Welt, aber es verändert den Menschen. Lasst uns darum beten, dass Frieden und gute Gemeinschaft wieder werde – in uns selbst, in unserem Land und in der Welt. Denn Menschen könnten in diesem Sinn die Welt verändern: aus Demut, Staunen und Dankbarkeit.

Pfarrerin Bettine Reichelt aus dem Kirchspiel Muldental