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Wort zum Tag – 24.01.2025
24. Januar 2025
Wahrheit und Verantwortung
Am internationalen Holocaust-Gedenktag (27.01.) erinnern sich Menschen der menschenunwürdigen Gewaltherrschaft durch die Nazis und deren Vernichtungslager. Im Nachgang fragen sich spätere Generationen, was sie damit zu tun haben. Die einen leugnen die Geschehnisse, andere spielen sie herunter, wiederum andere versuchen das unvorstellbare Leid zu begreifen und fragen nach der Schuld. Mit der Schuld der Altvorderen wollen Teile einer späteren Generation nichts zu tun haben, da sie keine persönliche Verantwortung sehen.
Die Sache ist aber etwas komplizierter. Bei den Zehn Geboten ist folgende Aussage zu finden (2. Mose 20, 5f): „Denn ich, der HERR, dein Gott, …, der die Missetat der Väter heimsucht bis ins dritte und vierte Glied an den Kindern derer, die mich hassen, aber Barmherzigkeit erweist an vielen Tausenden, die mich lieben und meine Gebote halten.“
Die menschliche Erfahrung lehrt, dass es bei einer Katastrophe in einer Familie zumeist auch unabhängig von Schuld eben drei bis vier Generation braucht, um die aus dieser Katastrophe erwachsenen und dadurch aus dem Lot geratenen Verhaltensmuster zu normalisieren. Da spielt es nur bedingt eine Rolle, wie eng Menschen mit der Katastrophe verbunden waren.
Einer der Ausgangspunkte der Holocaust-Katastrophe war die ideologische Umdeutung von Geschichte. Wieder werden metaphysische Wahrheiten von einem nationalen Egoismus vertreten, als seien sie Naturgesetze. Menschen haben das Gefühl, dadurch einen Wert zu bekommen, wenn sie einer besonderen Nation angehören. Dabei sehen diese Menschen nicht, dass sie nur für Machtinteressen missbraucht werden. Wenn sich diese Egoismen in der Gesellschaft durchsetzen, sind gewalttätige Konflikte und Kriege nicht mehr weit bzw. sind schon dort ausgebrochen, wo diese Egoismen das Handeln prägen.
Gemäß der Gebote Gottes ist der Mensch gemeinsam mit anderen Menschen berufen, Frieden zu stiften, Gerechtigkeit zu erkämpfen und die Schöpfung zu bewahren. Die Menschheit wird erst eine andere sein, wenn dieses Streben maßgeblich die Gesellschaft prägt. Dieses Streben macht das Menschsein wertvoll.
Dr. Reinhard Junghans
Pfarrer in Borna
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