
Wort zum Tag – 28.02.2025
28. Februar 2025
Ich bin ein Gast auf Erden
Seit 2003 führt durch weite Teile des Landkreises der ökumenische Pilgerweg. Von Görlitz bis Vacha – und darüber hinaus – wird ab April wieder fleißig gepilgert. Warum gehen viele Menschen diesen Weg und wie könnte unsere polarisierte, gespaltene Gesellschaft von den Impulsen des Pilgerns profitieren. Als Betreuer einer Herberge in Nepperwitz und bei Schulprojekten auf Abschnitten dieses Weges konnte ich in den vergangenen Jahren dazu einiges in Erfahrung bringen. Vielleicht ist es die Haltung, mit der sich ein Pilger auf seinem Weg permanent in der Fremde befindet. Er hat sich freiwillig auf die Stufe derer begeben, die in dieser Welt – unfreiwillig – auf der Flucht sind. Der Pilger bittet um Unterkunft und wird sich nicht wie ein selbstgerechter „Hausherr“ aufführen. Pilger lassen sich ebenso auf Unsicherheiten und Überraschungen ein, wie auf interessante Begegnungen. Sie pochen nicht auf ihr Recht auf eine perfekte und minutiös durchgebuchte Reise, sondern stellen sich Schritt für Schritt auf die Situation ein, die sie vorfinden. Sie wertschätzen die kleinen Selbstverständlichkeiten am Wegesrand und in den liebe- und phantasievoll gestalteten Pilgerherbergen. Viele der Pilger bringen Weitsicht, Kultur, Spiritualität und Toleranz gegenüber anderen Meinungen mit. Sie bauen Brücken über Konfessionen, zwischen „Ost“ und „West“ und überwinden durch ihre einfache Lebensweise soziale Kontraste. Da sie mit „leichtem Gepäck“ unterwegs sind, haben sie gelernt, zu unterscheiden, was auf ihrem (Lebens-) Weg wichtig ist und was unnötiger Ballast (Schnickschnack) ist. Wer pilgert, lernt mit jedem Schritt den Satz des Theologen und Liederdichters Paul Gerhard „Ich bin ein Gast auf Erden.“ zu buchstabieren. Nicht von ungefähr gehen sie ihren Weg von Ost nach West, von Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang und – wenn auch nur symbolisch gemeint – vom Anfang bis zum Ende des Lebens. Mir fallen noch zwei weitere Haltungen ein, die ich in den aktuellen Debatten und dem „Klagen auf hohem Niveau“ in unserer Gesellschaft sehr vermisse: Das Staunen und die damit verbundene Dankbarkeit. Wer in das grandiose Sternenzelt schaut und erkennt, dass das Leben auf unserer Erde ein einziges Wunder ist, wird in der Lage sein, zu relativieren. Was sind die wirklichen Probleme und wie kann ich – angesichts der Weltlage – dennoch zufrieden auf mein Leben schauen? Die Dankbarkeit ist der Schlüssel zum Glück. Wenn ich Hand und Herz wie eine Pilgermuschel öffne, lerne ich zu empfangen und weiter zu geben. Beim Pilgern kommt nicht nur der Körper, sondern auch die Seele in Bewegung. Vielleicht könnte diese Haltung uns als Menschen wieder näher zueinander, zu Gott und zu uns selbst bringen? Infos für Interessierte unter www.oekumenischer-pilgerweg.de
Gerd Pettrich Jugendwart im Kirchenbezirk Leipziger Land
